Die Sechzigjaehrige und der junge Mann by Nora Iuga

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann by Nora Iuga

Autor:Nora Iuga [Iuga, Nora]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783882215328
Google: OvIJSQAACAAJ
Herausgeber: Matthes & Seitz Verlag
veröffentlicht: 2010-12-14T23:00:00+00:00


ich gehe den Kaffee machen. Sie nimmt zwei Tässchen aus dem Schrank, füllt den Ibric mit Wasser, zündet die Gasflamme an, gibt zwei gehäufte Teelöffel Kaffee hinzu und einen mit Zucker. Sie stützt sich auf den Tisch, betrachtet die Pappel, sie hat begonnen ihre Blätter zu verlieren, so wie ich meine Haare. Wenn das so weitergeht, bin ich in einem Monat kahl, ich hoffe immer noch, dass es aufhört, ich glaube noch an Wunder, so wie ich auch daran geglaubt habe, ich könne noch jemanden geistig oder seelisch für mich einnehmen, ich trinke nicht mehr, ich rauche nicht mehr, ich habe keine Chance. Ohne Alkohol und ohne Zigaretten ist der Geist uninteressant, Gesundheit oder Vergnügen, das ist die entscheidende Frage, wo kommt das Vergnügen her, gibt es eine spezielle Drüse dafür, oder kommt es direkt aus dem Geschlecht, ich habe gelernt, dass die Funktion das Organ entstehen lässt, aber die Funktion stirbt vor dem Organ. Am Rand des Ibric’ beginnt der Schaum zu zischen. Anna nimmt ihn schnell vom Feuer. Ich glaube, das ist das Ungerechteste, das uns im Leben passiert, dass die Funktion vor dem Organ stirbt, sie gießt den Kaffee in die Tassen, das macht uns böse, neidisch, misstrauisch. Der Kaffee ist fertig!, ruft sie, aber er blättert in einem Bildband über Vermeer. Anna bringt die Tassen auf einem Silbertablett herein, sie will ihn beeindrucken, auch wenn sie immer deutlicher spürt, dass er einer vollkommen anderen Welt angehört als sie, ich hätte es von Anfang an wissen sollen, schon vom Körper her, er ist überhaupt nicht mein Typ, ich habe gleich das Gefühl gehabt, wir entstammen verschiedenen Spezies, er ist ein Stier, und ich bin eine Gans. Wenn du noch Zucker möchtest, nimmt dir, hier ist die Zuckerdose. Wenn ich ihm ein Glas Kognak gebe, wird er dann zufrieden sein, ich fordere ihn nur noch mehr heraus, und wenn ich die Flasche auf den Tisch stelle, bekomme ich Angst. Ich bin schrecklich ungerecht, ich habe ihn mir erfunden, und jetzt urteile ich ihn ab, so schwanke ich immerzu, ich bin eine Ampel, mal rot, mal grün, all diese Vorsätze, die man mit der Schere entzweischneidet, wie das Band bei der Einweihung, sie schmerzen so sehr, es ist, als spräche ich vom Tod – statt ihm zu danken, dass er mir immer so tapfer zur Seite steht, sobald der Zufall uns zusammenführt, er mir meine Jugend zurückgibt, er mich meine Schönheit und Freude wiederfinden lässt; statt ihn bedingungslos neben mir willkommen zu heißen wie einen echten, einzigen Freund, verzerre ich sein Bild, lasse ihn so sein, wie ich es will, ganz nach meinen Launen, denn er ist mein Geschöpf.

Beide nippen wir ruhig an unserem Kaffee. Sie will ihren Gedanken entfliehen; so wie man eine Blumenvase von der Mitte des Tisches entfernt, wenn die Suppe serviert wird, so kommt sie auf Terry zurück, ihren Rettungsring. Ich war dabei zu erzählen, dass ich mit ihr in der Calea Victoriei war, sie wollte sich Knöpfe kaufen. Sie ließ sich gerade ein Kleid bei einer Schneiderin anfertigen, die in der Griviţei wohnte.



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